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Das Geheimnis des umgestülpten Würfels

Quelle: brand eins Magazin, 2017

Text: Dirk Böttcher | Fotografie: Michael Hudler

Paul Schatz schuf aus einer altbekannten Form eine ganz neue – um die Welt zu verändern. Sein Enkel baut nun auf dieser Idee ein Unternehmen auf.

Ein Schiffsantrieb, der effizienter als die üblichen rotierenden Schrauben arbeitet und gleichzeitig die Wasserqualität verbessert? Klingt erstaunlich. Aber genau das hat Tobias Langscheid vor – mithilfe eines umgestülpten Würfels.

Der Schweizer steht an diesem kühlen Samstagmorgen im Februar am Duisburger Hafenbecken. Er trägt Anorak und Bommelmütze. Heute soll zum ersten Mal funktionieren, was sich sein Großvater vor fast 90 Jahren ausgedacht hat.

Der umgestülpte Würfel bestimmt das Leben der Familie seit drei Generationen. So als hätte es nie einen anderen Zweck als diesen für sie gegeben. Lange war es die Geschichte eines meist tragischen Scheiterns. Langscheid hat versucht, sich von diesem Erbe zu lösen. Das hat aber auch nicht geklappt.

Die meisten scheitern schon dabei, sich einen von innen nach außen gekrempelten Würfel überhaupt vorzustellen. Wer bis hierhin noch folgen kann, füge die nun aufgeklappte zweidimensionale Form zu einem neuen dreidimensionalen Körper zusammen. Daraus lässt sich ein Oloid ableiten, dessen Beschreibung nicht nur in der Vorstellung, sondern auch in Worten schwerfällt: eine Art doppelkegeliger Zylinder mit Kanten – ein physikalisches Wunder. Es besitzt zwei verschiedene Drehpunkte, bremst und beschleunigt zugleich. Langscheid spricht von einer rhythmisch-pulsierenden Bewegung, der sogenannten Inversion. Mit der ließe sich, so die Idee, auch ein relativ großes Schiff mit wenig Kraft durchs Wasser bewegen.

Tobias Langscheid vergleicht die Bewegung eines Oloids mit den rhythmischen und in verschiedene Richtungen wirkenden Schlängel- und Stoßbewegungen von Fischen. Der erste Prototyp hängt an diesem Samstagvormittag im Wasser des Duisburger Hafenbeckens. Zwei kleine Elektromotoren, die es nicht einmal mit der Leistung eines Handrührgerätes aufnehmen könnten, sollen das Boot zur Probefahrt beschleunigen. „Wer einen Würfel umstülpen kann“, sagt Langscheid, „der kann alles auf der Welt verändern.“ Er schickt ein Lächeln in Richtung Hafenbecken und steigt in das wackelige Gefährt.

Das Zauberreich des Großvaters

Paul Schatz bringt im Januar 1938 im Augster Stausee in der Nähe von Basel auch ein Oloid zu Wasser. 32 Jahre später wird das Oloid und seine technische Verwendung erfolgreich in der Schweiz patentiert.

An jenem Januartag nutzt er noch einen Prototyp aus Kupferblech, mit dem er per Handkurbel ein kleines Boot antreibt. Es scheint tatsächlich zu funktionieren. Vor lauter Überschwang kurbelt er aber so vehement, dass der Kahn in Schwingungen gerät und kentert. Der Erfinder bezahlt den Test mit einem Sturz ins eiskalte Wasser und fast mit dem Leben.

Schatz ist Wissenschaftler, Künstler, Philosoph und auch Kauz. Er lebt und arbeitet im kleinen Ort Dornach, zehn Kilometer von Basel entfernt. Das Haus ist winzig. In der Nähe liegt der sogenannte Bluthügel, an dem die Schweizer Eidgenossen im Jahr 1499 die Truppen des Schwäbischen Bundes besiegten, ein grauenhaftes Gemetzel. Heute thront dort das Goetheanum – ein protziges wie eigenwilliges Gebäude, das spirituelle Zentrum der Anthroposophen. Schatz gehört dieser Bewegung an wie auch viele Industrielle jener Zeit, darunter Peter von Siemens, ein Freund der Familie Schatz.

1929 entdeckt Schatz das Phänomen der Umstülpung und damit die Form des Oloids. Er ist getrieben von der Idee, den Dingen ein neues Aussehen zu geben. Und er will mit dem umgestülpten Würfel Schiffe antreiben, Sahne schlagen, die Luft säubern, Radioaktivität abbauen, fliegen oder den Rhein revitalisieren. Zu einer Zeit, da das Wort Umweltverschmutzung noch nicht existiert, lässt er sich Wasser aus dem Fluss in seine Werkstatt bringen und experimentiert damit in einem Aquarium. Er stellt fest, dass bereits kleinste rotierende Oloide große Wassermengen verwirbeln können, dabei die Sauerstoffzufuhr erhöhen und Mikroorganismen stimulieren.

Schatz’ Liste mit Ideen ist lang, entsprechende handschriftliche Notizen und Skizzen sind heute im Paul Schatz Archiv zu Basel einsehbar. Sein Enkel Tobias Langscheid sagt: „Großvater war immer an irgendetwas dran, erfinden, malen, oder er arbeitete an einer Holzskulptur.“ Die Werkstatt erscheint dem Jungen wie ein Zauberreich. 20 Quadratmeter, vollgestopft mit Holz- und Gipsmodellen, Unmengen an Papieren sowie zahlreichen eigentümlichen Messinstrumenten. Manchmal darf der Enkel dem Großvater zur Hand gehen – nun sieht es so aus, als könnten aus dessen Ideen eine Wirklichkeit werden.

Die von Langscheid gegründete Inversions-Technik GmbH lässt heute beim Berliner Maschinenbauer Alfred Rexrodt GmbH Oloid-Anlagen produzieren, die Teiche in Australien, Abwässer beim Fleischkonzern Comeco in Belgien, das Meeresaquarium von Wilhelmshaven, Güllebecken ungarischer Rinderfarmen oder Regenauffangbecken in Pinneberg vitalisieren.

Mehr als 1000 Oloide zur Wasseraufbereitung sind laut Langscheid heute weltweit im Einsatz. Außerdem vermarktet er über die mit seinem Bruder gegründete Kuboid GmbH auch Oloidlampen, allerlei umgestülpte geometrische Formen und weitere Produkte aus dem Nachlass von Paul Schatz. Ende November stellte das Schweizer Unternehmen 3D Wind AG das erste 3-D-Windrad Vayu vor, dessen Rotoren die Bewegung eines Oloids nachahmen. Außerdem begann die Vermarktung eines Oloid-Küchenmixers mit Kurbelantrieb.

Nichts, woran Paul Schatz nicht auch schon gedacht hatte. Nur das Umsetzen fiel ihm schwer, er war kein Geschäftsmann.

Schatz entwickelt seine Ideen meist in einem Kaffeehaus, wo er stets am selben Tisch sitzt. Seine fantastischen Vorhaben bringen die Familie an den Rand des Ruins. „Heute den Brockhaus verkauft“, liest man in seinem Tagebuch. Ein anderes Mal ist es die Uhr. Dann verliert er die Arbeit vieler Jahre, weil er die Miete für ein Lager nicht mehr aufbringen kann.

Das Oloid bestimmte wie ein Gestirn das Leben der Familie. „Es ging nie um etwas anderes“, sagt Tobias Langscheid. Er hat dieses Erbe angenommen, das Archiv aufgearbeitet und führt Schatz’ Arbeit weiter. Obwohl er das anfänglich nie tun wollte. Dass er nach der Schule eine Ausbildung zum Lehrer für Gartenbau und Musik absolvierte, deutet er heute als unbewussten Versuch der Abgrenzung vom Großvater. Nun ist er doch wieder bei den Oloiden gelandet.

Im Duisburger Hafenbecken setzt sich das kleine Boot surrend in Bewegung. Der Schiffsantrieb ist Teil des Projekts Water-Impulse, das Tobias Langscheid über die Paul Schatz Stiftung initiiert. Er führt damit eines der wichtigsten Vorhaben seines Großvaters weiter. Dessen Idee war es, mit Oloiden nicht nur Schiffe zu bewegen, sondern gleichzeitig auch die Wasserqualität zu verbessern sowie Uferzonen zu schützen. „Die Instandhaltung von Binnenwasserstraßen ist heute sehr kostspielig, weil die Wellen durch die großen Schiffsschrauben der Binnenfrachter zum Beispiel die Uferanlagen in Mitleidenschaft ziehen“, sagt Langscheid.

Er denkt zum Beispiel an Venedig, wo die vielen Bootsmotoren heute solche Wellen schlagen, dass sie die historische Bausubstanz gefährden. Bewegten sich die Vaporetti oloidangetrieben, sagt Langscheid, schützte dies die Gemäuer und das Gewässer gleich mit.

Vom Anlegesteg in Duisburg verfolgen ein Dutzend Menschen, wie das Boot sich lautlos und langsam vorwärtsbewegt. Der groß gewachsene Langscheid sitzt begeistert im Heck des kleinen Kahns. Hinter ihm ein eigentümliches Gestänge, das die zwei Elektromotoren hält, die jeweils ein Oloid antreiben. Eine für diesen Bootstyp geeignete Schiffsschraube könnten sie mit ihrer Leistung nicht zum Rotieren bringen.

Auszubildende von Thyssenkrupp bauten die entsprechende Halterung. Von Oloiden hätten sie noch nie etwas gehört, aber nun bewegten diese das Boot tatsächlich und mit weniger Energie, als Fachleute für möglich gehalten hätten, so Langscheid. Er habe die Motoren „nach meinem Bauchgefühl ausgesucht, nicht nach den Berechnungen der Experten. Ich verstehe ja auch nicht, wie das alles im Detail funktioniert.“

Bei zu großer Beschleunigung schlingert das kleine Boot etwas, bringen es die kleinen, wirbelnden Oloide wie damals beim Großvater zum Schwingen. Das Prinzip Bremsen und Beschleunigen hat sich auch über Leben und Arbeiten von Tobias Langscheid gelegt, zwei Schritte vor, einer zurück. „Auch das Scheitern gehört einfach immer dazu.“

Bewegt Wasser mit erstaunlich wenig Energie

Kann das alles überhaupt funktionieren? Immerhin beruht die Entdeckung der Oloide nicht nur auf Mathematik und Physik, sondern auch auf Esoterik. Für Paul Schatz gehörten Wissenschaft, Spiritualität und Kunst zusammen. Das klingt schön, ist aber nicht das, was potenzielle Kunden von Langscheid hören wollen. Als er das Oloid im Jahr 1995 zum ersten Mal bei einer Messe in Düsseldorf präsentierte, fragten alle Interessenten „nach technischen Parametern“. Die hatte Langscheid zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht parat. Das Strömungsverhalten rotierender Oloide ist bis heute nicht vollständig verstanden. Daher ist es für Langscheid – weder Ingenieur noch Wissenschaftler, sondern Lehrer – nicht einfach, Kunden in einer Branche zu finden, in der vor allem Kennzahlen interessieren: Je mehr Leistung eine Umwälzanlage in einem Klärwerk hat, desto besser. Und dann kommt da einer mit Oloiden, diesen aus umgestülpten Würfeln entwickelten Körpern, die von Elektromotoren angetrieben werden, die nicht mal die Leistung eines Handmixers erreichen. Er sagt potenziellen Kunden daher: „Probiert es doch einfach mal aus.“

Das tat auch Martin Wagner, Professor an der Technischen Universität Darmstadt und Honorarprofessor der Tonqji Universität Schanghai. Der Fachmann für Abwassertechnik hat auf seinem Schreibtisch ein kleines Zier-Oloid liegen. Vor einigen Jahren experimentierte er auch mit einem größeren in seiner Versuchsanlage. „Wir haben in einem Glasbecken mit 17 Kubikmetern Inhalt ein dafür angepasstes Oloid getestet, mit Blick auf die Durchmischungsintensität und den dafür notwendigen Energiebedarf. Ich war zunächst skeptisch, muss aber sagen, dass diese Aggregate tatsächlich erstaunliche Mengen Wasser mit deutlich weniger Energie als die konventionellen Rührwerke bewegen können.“

Dieses Vermischen der Flüssigkeiten ist für die Funktion von Kläranlagen essenziell. Einen weiteren Pluspunkt sieht Wagner in der schonenden Verwirbelung. „In der Wasseraufbereitung kommen Fällmittel zum Einsatz, die bewirken, dass sich feine Flocken bilden. Zu kräftige Rührwerke zerstören diese wieder und beeinträchtigen die Aufbereitung.“

Wagner ist der Ansicht, dass Oloide für die Abwasserbehandlung sehr gut geeignet sind. „Es ist aber auch so, dass die meisten Menschen diese Anwendung nicht kennen und entsprechend zurückhaltend sind.“

Daher bietet die Inversions-Technik GmbH Oloide zu Testzwecken für drei Monate zur Miete an. Wolfgang Neumann von der Schottler GmbH, ein Installateur von Abwassertechnik, begleitete einen solchen Test für eine Kläranlage der Verbandsgemeindewerke Wittlich-Land in Altrich. Seit 2015 steht er mit der Inversions-Technik GmbH in Kontakt und bietet deren Oloide an. „Mich fasziniert die Antriebstechnik. Beim Test in Altrich konnten wir den Energieverbrauch der Anlage deutlich senken, bei gleichbleibenden Ablaufleistungen und Sauerstoffeinträgen sowie einer verbesserten Aktivität der Mikroorganismen. Negativ war, dass die Oloid-Anlage öfter ausfiel, die Kaufentscheidung des Kunden steht bislang noch aus.“

Langscheid erklärt derartige Probleme so: „Wir hätten damals nach der Gründung der Firma eigentlich erst mal forschen müssen, Know-how sammeln, aber dafür wäre Kapital notwendig gewesen, das wir nur für diese Idee nicht bekommen hätten.“ Er fängt also einfach an. Ein Team von Ingenieuren entwickelt die ersten Maschinen, mehrere Schweizer Firmen produzieren. „Prototypen gab es nie, die konnten wir uns nicht leisten, wir konzipierten gerade zu Anfang auch nach Bauchgefühl.“

Warum nicht fliegen?

Als künftige Märkte sieht Tobias Langscheid vor allem „Länder mit suboptimaler Einkommensstruktur“. Denn solargetriebene Oloide gebe es schon für wenige Tausend Euro, sie ließen sich mit sehr geringen Betriebskosten und nahezu autark in Klärbecken oder verschmutzten Gewässern einsetzen. Aber auch in komplexen Industrieanlagen, etwa der Papier- oder Chemie-Industrie, werden Oloide mittlerweile eingesetzt. Ebenso in großen Meerwasseraquarien wie dem in Wilhelmshaven, wo ein Oloid das Haifischbecken sanft verwirbelt.

Als Paul Schatz 1979 stirbt, ist das kleine Haus in Dornach bis oben hin mit seinem Nachlass gefüllt. Seine Witwe ist überzeugt, dass sich dieser wirtschaftlich verwerten lässt. Der Rest der Familie glaubt das nicht. Das Erbe ist für sie eher eine Last.

Tobias Langscheids Bruder Christoph will ebenfalls nichts damit zu tun haben, die desolaten Finanzen seiner Großeltern wecken aber seinen Ehrgeiz. Er ist Mitgründer der Stiftung Edith Maryon, die in der Schweiz und in Deutschland Immobilien für ausschließlich soziale Wohn- und Arbeitskonzepte betreibt (siehe auch brand eins 09 / 2016: „Die Stadt ist für alle da“ *). Als 17-Jähriger hatte er bereits die Kontrolle über die großelterlichen Ausgaben übernommen. „Wollte Oma sich etwas zum Anziehen kaufen, kam sie zu mir und fragte nach Geld.“ 1984 überträgt die Familie schließlich den Nachlass des Verstorbenen an die Paul Schatz Gesellschaft e. V.

Tobias Langscheid geht zu diesem Zeitpunkt noch zur Schule. Das Erbe des Großvaters bleibt für ihn, was er heute „eine Familienangelegenheit“ nennt. Damals kümmert er sich um Anfragen von Museen, Kunsthochschulen, Privatpersonen und bastelt in seiner Freizeit zum Beispiel an Würfeln zum Selber-Umstülpen. Er sitzt bei diesen Aufträgen im Arbeitszimmer seines Großvaters. Bald hat er so viel zu tun, dass er einige Schulkameraden anheuert. Dann folgen Anfragen für Ausstellungen, die bislang in mehr als 25 Städten Europas gezeigt wurden.

Die ständige Beschäftigung mit dem Nachlass von Paul Schatz führt Langscheid, obwohl er schon als Lehrer arbeitet, immer tiefer in die umgestülpte Welt zurück. „Irgendwann begann ich, alle seine Arbeiten zum Wasser aufzuarbeiten, das war dann der zündende Funke. Ich hatte das Gefühl, dass wir das mit den Oloiden noch mal versuchen sollten, diesmal aber mit betriebswirtschaftlichem Fokus.“

Anders als der Großvater agiert Langscheid nicht als Einzelkämpfer, sondern baut von Anfang auf ein weites Netz von Unternehmern, Wissenschaftlern und Künstlern, die sich vom Oloid begeistern lassen und das Erbe von Paul Schatz in immer neuen Spielarten weiterführen.

Langscheid selbst möchte sich künftig ganz auf die Kombination von Schiffsantrieb und gleichzeitigem Gewässerschutz konzentrieren. Er baut gerade einen Verbund aus Schweizer und deutschen Hochschulen und Unternehmen auf, um weitere Forschungen und Entwicklungen anzustoßen. Um diese Idee, aber auch die der Windkraftanlagen oder des Küchenmischers Rhythmixx zur Marktreife zu bringen, hat er sich aus der Inversions-Technik GmbH zurückgezogen – „das Geschäft läuft ja“, sagt er.

Der nächste Schritt ist dann das Fliegen mit Oloiden. Dazu, sagt Tobias Langscheid, habe es bereits einige vielversprechende Versuche gegeben. Die Hypothesen dazu hatte Paul Schatz vor 70 Jahren aufgestellt. 

* b1.de/erbbaurecht

Das Oloid ist einer der wenigen Körper, die über ihre gesamte Oberfläche abrollen – und nie über ihre Kanten. Die Oberfläche ergibt eine als Ganzes abwickelbare Fläche und lässt sich knickfrei aus einem einzigen Stück Pappe herstellen.

Das Heliodome
2012 steht ein gewisser Eric Wasser im Paul Schatz Archiv. Der Franzose behauptet, in einem Oloid zu wohnen. Das Haus befindet sich in der Region Grand Est, Wasser nennt es Heliodome. Die Architektur ist dem Lauf der Sonne nachempfunden: Fotografierte man ein ganzes Jahr lang immer zur selben Zeit von der immer selben Stelle aus den Himmel, beschriebe die Sonne eine Acht, wenn man alle Fotos übereinanderlegte. Schnitte man dieses Bild wieder in Scheiben und baute daraus ein Haus, dann sähe es aus wie das von Wasser.

Es erinnert an eine fliegende Untertasse, die hochkant gelandet ist. Die große Fensterfront auf der einen Seite fängt den Sonnenlauf des Tages von der ersten bis zur letzten Minute ein, der Raum innen ist weitläufig – und wenn Christo das Haus verpackte, sähe man tatsächlich die Form eines Oloids.

Paul Schatz wird 1898 in Konstanz geboren. 1916 erhält er den Graf-Zeppelin-Preis für hochbegabte Schüler mit den besten Leistungen in mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern. Wenig später ist der 17-Jährige Soldat an der Westfront. Das Erleben des Krieges überzeugt ihn davon, dass die Welt ein neues Denken braucht.

Er hofft, es in den neuen Techniken zu finden. Nach dem Krieg studiert er Mathematik und Maschinenbau an der Technischen Universität München. Kurz vor dem Diplom wechselt er in die Astronomie. 1922 bricht er auch dieses Studium ab, enttäuscht vom abstrakten Denken in der Wissenschaft. Er beginnt eine künstlerische Ausbildung in Warmbrunn im Riesengebirge und schlägt sich als Bildhauer durch. 1927 zieht er mit seiner Lebensgefährtin Emmy Schatz-Witt nach Dornach in der Schweiz, um als Künstler, Erfinder und Techniker zu arbeiten.

Nach Hitlers Machtergreifung droht Schatz die Ausweisung nach Deutschland, was für ihn als Juden wahrscheinlich das Todesurteil bedeutet hätte. Doch Schweizer Industrielle sprechen sich mit Erfolg dafür aus, ihm in der Schweiz eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Seine Fürsprecher sind vor allem Reeder, sie sehen in Schatz’ Idee vom neuen Schiffsantrieb mit Oloiden großes Potenzial. Sie bedienen damals aus der Schweiz über die Flüsse zahlreiche europäische Fernhäfen. In Deutschland hat Schatz keinen Erfolg. In einem Brief aus dem Jahr 1936 bezeichnet man ihn als „diesen Badewannen-Erfinder“.

Am Ende bleibt es Schatz allein, der je ein Schweizer Gewässer mit einem Oloid-Antrieb befährt. Das einzige Produkt, das er verkauft, ist die Turbula, ein Mixer, der durch rotierende Oloide besonders homogene Mischungen aus unterschiedlichen Substanzen herstellt. Das Gerät wird vor allem in der Pharmabranche eingesetzt. Die Lizenzen für dieses Patent sind über Jahrzehnte die einzige Einnahmequelle der Familie Schatz. Heute vermarktet und produziert die Willy A. Bachofen AG Maschinenfabrik die Turbula-Modelle. Weltweit sind circa 100 000 Geräte in Betrieb.

Weitere Anwendungen Erste Oloid-Musik von Christian Zehnder und Gregor Hilbe: 2012

Erster fliegender Würfel von der Festo AG: 2012

Erster Flug eines Oloid-Ballons bei der Langen Nacht der Wissenschaften an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin: 2016

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